BuchstabenNutte

Wien, 18.12.2020

Es ist weit über Mitternacht. Meine Zeit um aktiv zu sein. Tagsüber gibt es ohnehin nicht viel zu tun. Zumal das Rausgehen ohnehin dieser, vieler weiterer und vergangener Tage nicht empfohlen wird. Kontaktbeschränkung. Dazu brauche ich ohnehin keinerlei verordnete Anregung. Völlig konträr zu dem was ich eigentlich benötige, um meine Gesundung voran zu treiben.

Also versuche ich in meinem bunten Domizil die geistige Gesundheit aufrecht zu erhalten bzw. zu fördern. Sport für das Gehirn. Neugierde durch Informationen zu füttern. Erkundigungen, Erkenntnisse oder auch seltsame Erklärungen zu unterschiedlichen Themen horten, sammeln, aber vor allem im Gedächtnis zu behalten. Diese Kollektion ähnelt dem Kramuri in meiner Wohnung und dient wohl gleichfalls als Depot für den richtigen Moment, sie zu verwenden. Ein Lager, prall gefüllt mit einem Sammelsurium an farbenfrohen Exponaten, welche auf ihren großen Auftritt warten. Hinter der Bühne, hinter dem dunklen Vorhang durch den ein schmaler Lichtstrahl leuchtet.

Nachdem ich meine Blase entleert habe, gleichzeitig verzweifelt nach einer vollen Klopapierrolle in dem Regal über mir gegriffen habe, weil die im WC-Cube natürlich leer war, schlurfe ich in die Küche. Auf dem Weg dorthin hält mich der Kater mit einem bittenden Blick samt bettelnden Mauzen auf. „Futter, bitte“, meint er wohl, da er demonstrativ neben seiner Futterschüssel sitzt. Selbstverständlich wird diese sogleich aufgefüllt, gleichzeitig jedoch auch Kaffee für mich gekocht.

Während ich dies hier schreibe, fällt mir erneut auf, dass ich mich sofort in die unendlichen Weiten meiner Gedanken verliere, und in die kleinste Gasse der Gehirnwindungen hinein luge. Jedoch dabei völlig von meinem Weg abkomme. Wohin wollte ich ursprünglich? Was war das Ziel, die Quintessenz dieser kleinen Geschichte? Wie auch immer, Kaffee parat, ab an den Laptop, sofort die aktuelle Folge meines Lieblingspodcasts anhören. Mindestens eine Stunde drei Menschen lauschen, die kluges, informatives, lustiges, philosophisches oder einfach simples freundschaftliches Geplauder anbieten. Die Ohren gespitzt, was am Nebentisch so erzählt wird. Lieben Dank für Euer Unterhaltungs – Tuttifrutti, es animiert mein Hirn fortwährend zum Tanzen.

Flipper 80 x 60 cm Acryl + Pastellkreide auf Leinwand

Ein wenig gestärkt nach dieser akustischen Darbietung stürze ich mich auf meine herum kullerten Gedanken, die wie nervöse Flipperkugeln durch meinen Kopf flitzen. Sie sollen nicht ganz vergebens gedacht sein, deshalb schreibe ich sie wohl hier immer, und immer wieder auf.

Linien und Striche

Madeira - Ansichtskarte

Unlängst lag eine Postkarte in meinem Briefkasten. Zuerst dachte ich, es sei eine Werbesendung. Doch dann erkannte ich die Handschrift. Auf der Vorderseite türkisfarbenes Meer und weißer Sandstrand.
Beneidenswert, dachte ich. Nun, was schreibt die in der Ferne weilende Absenderin:

Servus Bluesanne,

hier ist es wunderbar heiß, wie Du Dir denken kannst. Ich genieße die Zeit und spaziere täglich am traumhaften Strand entlang. Das Meer ist noch türkisener, als Du Dir das je vorgestellt hast. Am Abend schlürfe ich meist einen fruchtigen Cocktail oder tanze in der Strandbar. Jeden zweiten oder dritten Tag funktioniert hier auch das Internet und ich verfolge interessiert Deine Geschichten. Seltsam all das hier am anderen Ende der Welt zu lesen. Ich frage mich, warum Du das tust?

Nundenn…sonnige Grüße Deine Susanne

Lady on the Beach 11.11.2015 7 x 7 cm Acryl + Sand auf Leinwand + Staffel

Ich vergönne Susanne, diese wunderbare Zeit. Herrlich die Vorstellung in der Strandbar. Doch diese Frage zum Schluss, wieso will sie das schon wieder wissen? Sie war schon immer die Zweiflerin, skeptisch und scheu. Ich hoffe, die Sonne und das Meer vertreiben ihr ein wenig die trüben Gedanken. Diese ewige Grübelei war schon nervig. Aber gut, sie hat ein Anrecht auf eine ehrliche Antwort.

Antwort - Brief

Liebste Susanne,

fein, dass Du ein wenig Abstand gewinnen kannst, von all den Grauen hier in dieser verkorksten Welt. Du möchtest wissen, warum ich unsere Geheimnisse in die Welt hinausschreibe.
Nun, die Gespräche mit Dir sind und waren mir immer wichtig. Doch irgendwann drehte sich alles im Kreis. Von einem Labyrinth in das nächste sind wir geraten. Du warst einfach immer zu feige um einen neuen Weg zu beschreiten. Für Dich war Sicherheit im Leben das Wichtigste. Und, was hat es Dir gebracht? Du bist gefallen, von einem Fettnäpfchen ins nächste bist Du gestiegen.

Tagebücher 1996 - 2022

Oft sogar freiwillig. Wenige, ganz ehrliche Menschen an Deiner Seite haben dich gewarnt. Aber Du wolltest es nicht wahrhaben.
Aber genug der Vorwürfe, ich weiß, es ist nicht einfach sein Leben total um zu krempeln. Völlig auf Dich alleine gestellt.
Ich habe alle Deine kleinen Bücher gelesen, vieles ist mir heute noch ein Rätsel. Doch eines wurde mir klar, diese Zeilen sollten viele Menschen kennen lernen. Was kann schon passieren? Sicherlich hätte ich Dich vorher fragen können, aber ich bin mir sicher, Du hättest wieder einen Rückzieher gemacht. Deshalb habe ich Dich auf die Reise geschickt. So, nun ist es raus. Ich habe Dich ein wenig beschwindelt. Verzeih!

Für mich, als kreativer Part unserer lebenslangen Symbiose gibt es kaum bis keine Grenzen. Zumindest nicht, was die Phantasie betrifft. Jedoch übertrifft das wahre Leben bei weiten oft die menschliche Vorstellungskraft. Immer wenn Du dachtest, es betrifft nur Dich, haben etliche Menschen auf der Welt dasselbe wie Du erlebt. Jedes Mal, wenn Du Dir Fragen gestellt hast, haben sich ebenso viele andere Menschen, dieselben Fragen gestellt. Bei jeden Deiner Tiefschläge fülltest Du Dich alleine und im Stich gelassen. So wie abertausende Menschen auch.

Was liegt da näher, diese Gedanken mit anderen zu teilen. Du hast es zwar immer wieder versucht, doch es gab selten die Möglichkeit über Alles zu sprechen. Die ganze Wahrheit, alle Deine Erinnerungen, Deine Ängste, Deine Zweifel und Deine aber Millionen Fragen. Da reichen zweimal 50 Minuten Gespräche mit der Therapeutin im Monat nicht aus. Außerdem sollst Du ja dort nicht über das Leben resümieren, sondern Dich wieder stabilisieren. Natürlich gehört Deine Vita dazu, doch auf eine andere Art und Weise.

Das Leben findet nicht nur in Deinen eigenen vier Wänden statt. Ich weiß, die Welt da Draußen macht Dir Angst. Selbst das geschriebene Wort anderer verstört Dich schon und Du trittst wieder den Rückzug an. Keine Angst, Susanne, es sind nur Worte. Dutzende dieser Buchstabengebilde, die Du schon selbst errichtet hast. Auch wenn wir dieselbe Sprache sprechen, heißt das noch lange nicht, dass wir einander verstehen und schon gar nicht begreifen. Selbst Du und ich haben unsere Differenzen.

Es gibt einfach keinen Grund mehr, sich unter dem Mantel der Verschwiegenheit zu verkriechen. Du weißt, ich, die Bluesanne ist eine Seelenexhibitionistin. Also ich möchte aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Schon gar nicht, weil wir nie wissen, wann Schluss ist. Möchtest Du wirklich 52 Jahre mit ins Grab nehmen?

Darum erzähle ich einfach diese Gedanken da draußen in der Welt. Gleich ob sie Zustimmung oder Ablehnung finden. Sie werden gelesen. Egal, ob es Reaktionen gibt, oder nicht. Die Buchstaben, Worte, Zeilen, Geschichten und vor allem Deine Gedanken werden in anderen fremden Köpfen landen. Ganz viele werden sie bald wieder vergessen. Ganz viele werden sie wahrscheinlich nicht einmal verstehen. Und noch mehr, werden sie vielleicht einfach überlesen. Doch das ist einerlei. Wenn lediglich ein einzelner Mensch, Parallelen oder ähnliche Gedanken oder Erlebnisse finden, ist es schon von Nutzen.

Kann sein, dass Du es nie erfahren wirst. Aber ebenso ist es möglich, dass Dein Leben auch in anderen Menschen gelebt und erlebt wird oder wurde. Und er wird Dir davon berichten. Die Chancen stehen gut, glaub mir.
Die gesamte Welt verändern oder retten können wir nicht. Doch in Deiner und meiner Welt können wir was verändern. Du weißt, ich habe noch unzählige Visionen, und eine davon habe ich begonnen. Nicht nur im stillen Kämmerlein, nicht nur für uns Zwei. Nicht nur in den unzähligen kleinen Büchlein gekritzelt. Nein für Alle, die es gerne lesen wollen. Eines ist sicherlich auch gewiss, liebe Susanne, Du wirst Deine Worte auch noch in hundert Jahren auf / im Big Data finden. Zumindest nach heutigen Wissensstand.

Kommunikation, Verständigung, Verbindungen, Beziehungen und Austausch werden immer ein wesentlicher Teil der Menschen sein. Auch wenn Kontakte heute über Datennetze und einige Umwege passieren, zu guter Letzt setzt man sich doch gemeinsam an einen Tisch und plaudert von Angesicht zu Angesicht. Spätestens da, fallen alle Masken und Hüllen.
Hast Du mir selbst erzählt, zu Zeiten Deiner Suche auf Datingseiten 😉
Nundenn,
meine liebe Susanne, genieße die Zeit im Paradies
**Umarmung**
Deine BuchstabenNutte

Bluesanne

PS: …ich schreibe weiterhin Deine Striche und Rundungen, mit oder ohne Strichpunkt, BindeStriche, BeiStriche, in StrichRichtung oder dagegen unterm Strich landen sie auf der virtuellen DatenAnbahnungsstraße der Suchenden.

Bluesanne

Bluesanne

Künstlerin
*Alltagsphilosophin - *Philanthropin - *Autodidaktin - *MusikConnaisseuse
verfasst am 05.01.2015 aktualisiert am 18.12.2020 ©Bluesanne

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